22 Jun Anna Gahlenbeck
Was wäre wenn eine Dystopie siegt?
Mein Ziel war die Auswirkung einer Dystopie nach Orwellschen Vorbild von 1984 auf die Persönlichkeit eines Menschen in Form einer textilen Gestaltung darzustellen. Das von mir gewählte Format eines Kleides orientiert sich an historischen Vorbildern aus sozialistischen Diktaturen, die in ihrer Staatsform Orwell als Vorbild dienten. Mein ursprünglicher Plan ein Kostüm für Mann und Frau zu kreieren, ließ sich aufgrund von Corona- Engpässen nicht vollends durchführen. Auch die filmische Umsetzung wurde der Corona-Kontaktsperre geopfert. Mit Hilfe einer Nachbarstochter konnte ich mein Projekt noch teilweise retten, aber an Kleid, welches für eine junge Frau genäht wurde, verliert seine Konturen an einer 11jährigenNachbarstochter. Die gewünschte Kälte und Trostlosigkeit konnten wir leider nicht wirklich darstellen.
Die ursprüngliche Idee einer Mao- Jacke aus schwarzem Stoff, aufgepolstert mit Luftpolsterfolie, die ein futuristischen- sterilen Akzent setzen sollte, konnte ich nur graphisch umsetzen. Die Mao Uniformjacke steht für die kulturrevolutionäre Angleichung der Bevölkerung und hatte eine politische Bedeutung für die Gleichschaltung innerhalb des diktatorischen Systems. Sie ist gleichzeitig ein Meilenstein in der chinesischen Geschichte und führte zur Ausrottung unter Strafandrohung der traditionellen, als bürgerlich empfundenen Kleidung. Bürgern wurde die Möglichkeit einer individuellen Zugehörigkeit zu anderen Gesellschaftsgruppen durch Kleidung auszudrücken, genommen. Das menschliche Bedürfnis, sich zu schmücken, seiner Individualität und Identität Ausdruck zu verleihen, wirdvernichtet.
Stattdessen kommt ein uniformelles Erscheinungsbild der Schlichtheit. Die mit dem wirtschaftlichen Niedergang in einer dystopischen Diktatur verbundene Verelendung und Auszehrung der Menschen unterstreicht auch die Skelettapplikation auf dem Kleid, das sich an dem berühmten Vorbild von Elsa Schiaparelli,„The Skeleton Dress“, anlehnt. Hierbei ist nicht nur das textile Werk ein passendes Zitat, sondern auch die kreative Arbeit der Modeschöpferin, die in ihrem Werk Fiktion und surreale Impulse einfließen lässt. Die Umsetzung einer Gesellschaftsfiktion in eine textile Arbeit erscheint auf den ersten Blick ungewöhnlich. Doch wird die Bedeutung der Kleidung im sozialen Kontext oftmals nicht ausreichend reflektiert. Große Epochenwechsel und gesellschaftliche Veränderungen wurden von textilen Wandlungen begleitet. Das Reformkleid, als Ausdruck der Emanzipation und neuen Beweglichkeit der arbeitenden Frau, der Wegfall der Corsage und eine gerade Silhouette standen am Anfang der Frauenbewegung.Der bereits sehr gefragte westliche Look in Russland und China wurde als Zeichen der wahren Revolution abgelegt. Der Kosak und die Bauernbluse als Zitat der zaristischen Untertanen wechselten zum militärisch geprägten Revolutionsstil derLenin-Uniform.
Kleidung ist ein alltäglich sichtbares Mittel des Ausdrucks. Eine Gesellschaft, die Ihre Vielfalt ablegt, betont ihre einheitliche Ausrichtung.
Das schlicht gehaltene Kleid aus einfachem schwarzem Stoff ohne Verzierungen oder femininer Gestaltung reduziert seine Trägerin auf ein Wesen. Die knöchernen Applikationen unterstreichen die magere Figur der Person. Was bleibt ist eine Erinnerung an ein weibliches Kleid.
Die skizzierten Accessoires, wie ein schlichtes, militärisches Schiffchen als Kopfbedeckung, die ich in einem russischen Armee Shop bestellt hatte, wurden nicht geliefert.
In Anbetracht der Umstände habe ich mein Bestes versucht meine Vision umzusetzen.